Kinder ohne Eis

Dolomiti gibt es nicht mehr. Eis in den Dolomiten wird es bald auch nicht mehr geben.
Eis in den Dolomiten wird es bald nicht mehr geben

In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung stand neulich, im Jahr 2100 werde es wegen des Klimawandels keine Gletscher mehr in den Alpen geben. Andere Medien sagen das Gleiche, z.B. der Bayerische Rundfunk. Ich habe in diesem Jahr aus beruflichen Gründen viel Zeit in den Alpen verbracht und dort auch Gletscherreste gesehen. Und ich musste an ein Eis am Stiel aus meiner Kindheit denken, das Dolomiti. Meine Kinder kennen dieses Eis nicht. Meine Enkel werden die weißen Berge nicht kennen.

Ich erfahre täglich aus den Medien, dass der Lebensstil der Menschen die Erde zerstört. Ich lese so oft darüber, dass ich das trügerische Gefühl eines Fachwissens zu diesem Thema habe. Auch meinen Kindern wird regelmäßig auf KIKA erklärt, wie der Klimawandel mit der Abholzung der Regenwälder und die wiederum mit dem Fleischkonsum zusammenhängt.

Durch diese Informationsflut entsteht bei mir der Gedanke, dass dieses Thema im Bewusstsein aller Menschen sein muss, die eine gewisse Ähnlichkeit im Geist, in der Sozialisierung, in der Kultur haben wie meine Familie. Aber es ist nicht so. Die nettesten Nachbarn, die engsten Freunde, die liebsten Kollegen denken anscheinend anders als wir. Wie selbstverständlich kaufen sie im Supermarkt ihr tägliches Fleisch und die billigste Milch, fahren schwere Autos, gehen zum Mittagessen mit ihren Kindern in Fast Food Restaurants.

Und ich denke dann: Sie wissen doch auch was ich weiß! Wie geht das denn: Das Eine wissen – und das Andere trotzdem tun? Es geht irgendwie.

Ich verachte die Massentierhaltung weil sie grausam zu den Tieren ist und den Klimawandel antreibt. Leider möchte sich diese Verachtung auch auf meine Mitmenschen richten, wenn ich erlebe, dass sie wie selbstverständlich Fleischwürstchen und Hühnernuggets für ihre Kinder kaufen. Ein Gedanke schiesst mir dann durch den Kopf: Ich mag euch, aber ich hasse eure blöde Idee, ich würde das Richtige für euch erledigen, und deshalb könntet ihr das Falsche tun.

Ich weiß, dass man nicht missionieren soll. Aber was ist eigentlich wichtiger: Dass man mich mag, oder dass die Welt gerettet wird?

Und geht das überhaut: die Welt retten? „Kinder ohne Eis“ weiterlesen

 

Mit 60 kann man noch Barista lernen


Vor ein paar Tagen saß ich im kleinen Café Nebenan in Neukölln. Ich hatte noch ein wenig Zeit bis zu meinem Termin bei der Osteopathin, die mir meine schmerzenden Gelenke heilen sollte. Während ich meinen ausgesprochen leckeren Soja Latte Macchiato trank, bewunderte ich die liebevoll gemachte Gestaltung des Cafés. Mir gefiel, dass jedes Objekt in diesem Raum mit Bedacht ausgewählt wirkte. Anscheinend war es jemandem wichtig, dass ihm sein eigenes Café gefällt. Da war nichts, was danach schrie, dass unbedingt ganz viele Kunden kommen sollen.

Ich bewunderte und beneidete den Eigentümer dieses Cafés und hatte plötzlich eine Erkenntnis über mich selbst: Ich will spannende Geschichten erzählen, glaubwürdige Charaktere kreieren, interessanten Gedanken nachspüren. Meine Filme will ich mit den Werkzeugen, die mir zur Verfügung stehen, und mit der Kraft, die ich dafür habe, machen. Es soll aber auch noch genug Energie für andere Unternehmungen – und vor allem für Menschen – übrig bleiben. Ich will, dass meine Arbeit mich zufrieden macht. Wenn das der Fall ist, ist schon das Wichtigste erreicht. Wenn ich mir meine eigenen Filme gerne ansehe, ist es gut. Da muss nicht noch viel mehr kommen. 

Was hat das nun mit dem Soja Latte im schnuckeligen Kiez-Café zu tun? Folgendes: Eigentlich will ich auch nur guten Kaffee kochen. Und Kuchen backen, auf Flohmärkten nach Stühlen suchen, Bilder aufhängen. Vielleicht mache ich ja eines Tages mein eigenes Café auf, mit viel Zeit und Bedacht gestaltet, so wie es mir gefällt. Die Frage ist nur: wann? Ich finde ja, Regisseure sollten ab einem gewissen Alter nicht mehr Filme drehen. Ihre Filme bekommen dann oft etwas Seniles. Ich werde dieses Jahr 50. Also gebe ich mir noch 10 Jahre. Mit 60 kann man noch Barista lernen.

 

Weil ich leben möchte!

Neulich fragte mein Dreijähriger meine Frau „Mama, wann sterben wir?“ Sie antwortete „Wenn wir alt sind oder sehr krank. Hast du Angst davor?“ „Ja, weil ich leben möchte!“

Am nächsten Tag sagte unser Sechsjähriger zu mir „Papa, ich bin froh, dass ich noch so jung bin. Dann muss ich nämlich nicht so früh sterben wie du.“

Danach kaufte ich zwei Pflanzen, einen Elfenspiegel und eine französische Fleischtomate, und pflanzte sie auf unserem Balkon ein.

Wie kann es sein, dass die beiden Kleinen sich schon so früh mit dem selben Thema beschäftigen wie ich, der ich auf die 50 zugehe? Ich erzähle ihnen ja nichts von meinen Gedanken über das Leben und den Tod. Kinder, es ist noch zu früh, um sich über das Sterben Gedanken zu machen, ihr seid noch jung!  

Habe ich in dem Alter die gleichen Fragen gestellt? Wahrscheinlich könnten mir das meine Eltern gar nicht mehr sagen.

Als meine Jungs vor ein paar Monaten einen toten Gecko begruben, sagte der Kleine „Der arme Gecko, er ist tot aber er lebt jetzt.“ Und sein älterer Bruder widersprach: „Nein, er lebt nicht mehr.“ „Doch, er ist tot aber er lebt jetzt.“ So ging das eine Weile, bis mir vor Rührung fast die Tränen kamen.

 

Ist das ein Spielzeug für Mädchen oder für Jungs?

bildschirmfoto-2016-09-14-um-19-58-32Ich habe neulich eine bewegende TED-Rede des amerikanischen Medienwissenschaftlers Christopher Bell gehört. Er spricht davon, wie seine Tochter sich Kostüme von männlichen Superhelden anzieht, weil es keine Kostüme oder andere Merchandising-Produkte weiblicher Superhelden gibt. Helden sind männlich, und wenn sie Frauen sind, werden sie zu Männern gemacht. Jungs kriegen Schwerter und Flugzeuge. Mädchen kriegen Barbies und Babies. Blau gegen Rosa.

Wenn ein Mädchen männliche Eigenschaften hat, wertet sie das auf. Hat ein Junge weibliche Eigenschaften, gilt er als Pussy. Ein 11jähriger Junge in Amerika hat versucht, sich mit einem Gürtel zu erhängen. Er war von seinen Freunden ausgelacht worden, weil er eine TV-Serie mit Ponys mochte.

Ich bin, nachdem ich diese Rede gehört hatte, sofort losgerannt und habe ein Mädchenspielzeug für meinen 5jährigen Sohn gekauft: Ein Heft mit Pferde-Geschichten und einer Halskette. Als mein Junge das Geschenk sah, sagte er: „Das ist für Mama.“
„Wieso?“, fragte ich. „Da sind doch Geschichten mit Pferden drin. Pferde sind doch tolle Tiere!“ Aber mein Sohn wollte das Heft nicht lesen. Später spielten wir gemeinsam mit der Halskette. Wir versuchten allerdings, daraus eine Ankerkette für ein Spielzeugboot zu machen.

Als er 2 Jahre alt war, wollte der Sohn rosafarbene Gummistiefel haben. Damals zögerte ich kurz, aber wir kauften sie ihm. Er mochte einfach die Farbe. Heute, mit fast 6, reagiert er auf Rosa mit „Igitt, das ist für Mädchen!“ Wo hat er das her? Nicht von mir und sicher nicht von seiner Mutter.

Neulich versuchte ich es nochmal. In einem Supermarkt bot ich meinen beiden kleinen Jungs an, ihnen rosafarbene Spielsachen zu kaufen (mit denen sie durchaus hätten spielen können). Sie schauten mich beide entgeistert an. Als würden sie denken: Meint er das jetzt ernst?

Ich behalte die Hoffnung, dass sie vielleicht auch ein wenig dachten: Meine ich das jetzt ernst, dass ich dieses hübsche rosa Spielzeug ablehne?

Wir alle sind schuld an diesem Problem, sagt Christopher Bell. Hier ist sein TED talk:

 

 

Ist der Berg ein Mann oder eine Frau?

Foto unbearbeitet

Seit 6 Wochen bin ich in der Steiermark, um hier zwei Filme für die ZDF-Reihe „Die Bergretter“ zu drehen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte den Dachstein wie ein hartes Ei mit dem Messer durchschlagen und aufklappen, um zu sehen, was in ihm drin ist.

Im Film „Der Berg ruft“ (1938) sagt Luis Trenker sinngemäß, daß er dorthin will, wo vor ihm noch nie jemand war: Auf den Gipfel des Matterhorns. Das große Ding muss bezwungen werden. Wenn er es nicht schafft, bevor sein Konkurrent es macht, dann bleibt er unzufrieden bis ans Ende seines Lebens.

Der Berg muss gestürzt werden. Aber wenn man von ihm runterfällt (passiert in den meisten Bergfilmen), dann landet man wiederum in seinem Schoß. In „Die weisse Hölle vom Piz Palü“ (1929) fällt ein Mensch in eine Bergspalte und wird für immer verschlungen. Erlöst vom Zwang, die Spitze zu erklimmen.

Neulich fragte ich einen sehr erfahrenen Bergführer, der mich bei den Dreharbeiten berät: „Ist der Berg ein Mann oder eine Frau?“
Der Dachstein, die Scheichenspitze!“, antwortete er ohne zu zögern.
„Ja, aber bezwingt man einen Mann oder besteigt man eine Frau, wenn man den Gipfel erreicht? Wie fühlt sich das an?“
„Geschlechtsneutral!“, beharrte er. „Der Berg gibt mir die Erlaubnis, ihn zu besteigen. Ich will ihn nicht bezwingen. Denn dann wäre er ja mein Feind. Er ist aber mein Freund!“

(Das große Foto oben ist unbearbeitet. Die drei Bilder unten sind mit Hipstamatic gemacht.)

 

Zivilcourage und Pinkeln

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Neulich war ich mit meinem Sohn auf dem Bayerischen Platz. Wir hatten uns ein Eis gekauft und schlenderten über die Wiese. Ich sagte zu ihm: Ich setz mich da drüben hin. Mein Sohn nickte mir zu. Ich ging über die Wiese und setzte mich auf eine Parkbank, von der aus ich ihn gut beobachten konnte. Er schlenderte am Brunnen entlang.

Ich mag es, wenn mein kleiner Sohn sich alleine durch den Raum bewegt und wir beide wissen, dass wir noch Kontakt haben. Er testet oft das Sichentfernen und das Zurückkommen. Er ist jetzt zweieinhalb Jahre alt.

Zwei junge Frauen sprachen meinen Sohn an und gingen anschließend an mir vorbei, fragend, ob ich zu dem süssen Kleinen gehören würde. Ich dachte: Wie nett.

Ich sah dann, wie ein Mann mittleren Alters zu meinem Jungen ging. Der Mann war komplett in beige gekleidet, trug eine Sonnenbrille und hatte einen schwarzen Hund dabei. Er setzte sich zu meinem Sohn auf den Brunnenrand und sprach ihn an. Mein Sohn zeigte mehrmals in meine Richtung. Ich dachte: Jetzt hat er auch diesem Mann verständlich gemacht, dass hier sein Papa sitzt.

Doch der Mann nahm meinen Jungen bei der Hand und kam mit ihm auf mich zu. Nein, er ging nicht auf mich zu, sondern er wollte schräg an mir vorbei. Wahrscheinlich um zu testen, ob ich reagieren würde. Ich reagierte:

Was soll das werden?

Die Mutter dieses Kindes ist nicht da.

Ich bin der Vater.

Ich will mich nicht in ihre Familienangelegenheiten mischen.

Das tun Sie aber gerade.

Das ist Zivilcourage. Seien Sie doch froh!

Mein Junge schmiegte sich an meine Knie und der Mann ging mit seinem Hund weg. Ich dachte: Habe ich mich vielleicht zu weit von meinem Kind entfernt? „Zivilcourage und Pinkeln“ weiterlesen

 

Sag mal, Papa, wie lange lebst du noch?

Gespräch auf dem Weg zum Kinderladen:

Sag mal, Papa, wie lange lebst du noch?

Weiß nicht. Vielleicht einen Tag, vielleicht ein Jahr, vielleicht 20 Jahre.

Ich finde, du musst noch 20 Jahre leben!

Ach ja? Wie schön.

Ja, du musst doch erst noch mein Papa sein und dann musst du noch Opa werden und dann kannst du sterben. Nach 20 Jahren. Oder 21.

 

 

Gewehre und Pistolen

Heute fand ich in der ZEIT dieses Kunstwerk: „On the Topic of Hunting“ (2015) von Mark Dion. Man kann es im Neuen Berliner Kunstverein kaufen. Was für ein Symbol, dieser schlaffe Lauf! Man muss schon ein ganzer Mann sein, um mit einem Gewehr auf ein nichtsahnendes Tier zu schiessen. Oder auf einen Menschen.

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Dions Kunstobjekt erinnerte mich an ein Objekt meines Vaters Konrad Balder Schäuffelen: „Duellpistolen“ von 1982. Man müsste schon ganze zwei Männer sein, um hier die Abzüge zu drücken. Was für eine politische Aktualität in diesem Ding steckt! Männer, die mit geladenen Pistolen gleichzeitig die Welt in Atem halten gibt es mal wieder so viele.

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Und was für ein seltsames Wort: „Pistole“. Spricht man es mehrmals hintereinander aus, wird es immer sonderbarer. Man kann „Systole“ oder „Phiole“ assoziieren. Alternativ auch „pipole“ oder „people“. Oder „pissen“. Dabei stammt dieses Wort aus der Sprache meiner Mutter, nämlich aus dem Tschechischen. Es kommt von píšťala (Pfeife, Flöte). Wie harmlos sich das Wort plötzlich für mich anfühlt, wenn ich an einen kleinen Jungen denke, der vergnügt auf seiner píšťala spielt.

 

Eltern im Blabla-Modus

BlablaAls ich vor einiger Zeit meinen vierjährigen Sohn von der Kita abholte, gab ich ihm ein Stück Schokolade und fragte seinen Freund, ob der auch ein Stück wollte. Wie sagt man?!, schoss es aus dessen Mutter Mund, bevor der Kleine mir überhaupt antworten konnte.

Manche Eltern mögen es anscheinend, ununterbrochen auf ihre Kinder einzureden, z.B. so:
Sag mal hallo, geh da runter, gib ihm was ab, fass das nicht an, renn nicht so schnell, setz dich hin, heb die Mütze auf, lass sie in Ruhe, gib das zurück, iss das nicht, sowas macht man nicht, sag mal tschüss…

Was ist das? Eine Fernsteuerung? Hebelchen nach rechts: Kind geht nach rechts. Knopf drücken: Kind sagt Danke.

Vielleicht sorgen sich diese Eltern um das Bild, das sie nach außen abgeben. Schämen sich latent für ihre Kinder und halten sie deshalb in der Öffentlichkeit an der verbalen Kinderleine. Wir lassen uns ja alle auf gar keinen Fall in die Kindererziehung reinreden – deshalb müssen wir dafür sorgen, dass uns niemand reinreden kann und will. Ist es das?

Oder geht es um die Versicherung, dass das Kind noch da ist, dass Mutter/Vater da ist, dass man existiert, miteinander verbunden ist? Das wäre dann wie eine verbale Nabelschnur. Manchmal höre ich solche redundanten Wortketten: Hast du Hunger, willst du was essen, willst du ne Banane, sag mal musst du kaka, hast du schon in die Windel gemacht, wollen wir mal deine Windel wechseln, hast du Kaka drin, willst du nicht deine Windel wechseln, na dann halt nicht, oder doch…

Neulich fragte mich ein Vater, ob ich damit einverstanden sei, wenn er zu meinem Sohn jetzt mal ein bisschen strenger wäre. Unsere Jungs spielten gerade miteinander. Ich hatte nichts dagegen, denn ich war neugierig, was er damit meinte. „Eltern im Blabla-Modus“ weiterlesen