Was unser Kinderarzt vor einem Jahr zu veganer Ernährung für Kinder sagte und was er heute dazu sagte, das sind zwei sehr unterschiedliche Aussagen. Und dazwischen lag ein kontroverser Denkprozess – in meinem Kopf.
Vor einem Jahr liess ich mal wieder die Blutwerte unserer Söhne (damals 7 & 10) beim Kinderarzt überprüfen. Meine Familie lebt seit 2018 vegan und ungefähr so lange sind meine Frau und ich Nährstoffsuperprofis. Das Blutbild-Ergebnis, welches uns unser geschätzter Kinderarzt mitteilte, lautete: Alles im grünen Bereich, nur Zink und Selen könnten ein bißchen höher sein.
Unser Kinderarzt sagte bei diesem Termin aber auch diesen einen fatalen Satz: „Vegane Ernährung ist für Kinder die falsche Ernährung.“ Diese Aussage ist in unserer Gesellschaft nicht so ungewöhnlich und sie wäre auch nicht so problematisch für mich, wenn unsere Söhne sie nicht gehört hätten.
Zu Hause hieß es dann natürlich: „Papa, ist vegane Ernährung wirklich falsch für uns?“
Wie reagiert man da als Vater, als Mutter, als Nährstoffversorger Nummer eins? Ich hegte erstmal Rachegedanken gegen unseren Kinderarzt, hatte er doch unsere gesunden veganen Kinder verunsichert. Und eines Tages gab mir dann der Himmel ein Schwert in die Hand: Das Ärzteblatt, ausgerechnet! Darin war ein Artikel (PDF) über die Ergebnisse einer vom Bundesernährungsministerium (BMEL) unterstützten und von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) veröffentlichten „VeChiYouth-Studie“, die vom Forschungsinstitut für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE) durchgeführt worden war.
Bei dieser Studie wurden sich vegan und vegetarisch und omnivor ernährende Kinder untersucht und verglichen. Das Ergebnis: Innerhalb der Altersgruppen waren alle Kinder gleich groß und gleich schwer und leicht unterversorgt mit Jod, Calcium, Vitamin B2 und Vitamin D. Ansonsten waren sie alle gesund und das Ärtzeblatt konkludierte: „Keine Nachteile für vegan und vegetarisch lebende Kinder“.
Seither wollte ich dem Kinderarzt also diesen Ärzteblatt-Artikel unter die Nase reiben. Gleichzeitig dachte ich aber auch, dass das eine blöde rechthaberische Aktion werden könnte. Ich wollte den Arzt, den wir ja mögen, nicht verärgern. Ich wollte aber auch nicht ertragen müssen, dass er meine Söhne verunsichert hatte. Und ich dachte: Was wenn er anderen Eltern dringend von einer veganen Kinderernährung abrät und somit Vorurteile schürt, die Ernährungswende verschleppt, die Tierrechtsbewegung boykottiert und die Klimakrise befördert?
Es war nicht auszuhalten. Doch dann kam die Rettung: In der vergangenen Woche veröffentlichte die ZEIT einen großen Artikel mit dem Titel „Vegan für alle“ und mit einem langen Absatz zu dieser VeChi-Studie (siehe unten). Der Tenor auch hier: Vegane Kinderernährung ist kein Problem, wenn man es richtig macht, und Sinn macht sie auf jeden Fall. Nun hatte ich zwei Schwerter!
Heute waren wir wieder beim Kinderarzt. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sprach den Arzt auf das Ärzteblatt und den ZEIT-Artikel an. Ich erinnerte ihn auch an seinen fatalen Satz vom letzten Jahr. Er setzte sich sofort an seinen Computer, suchte die VeChi-Studie, überflog sie, nickte mehrmals und kündigte an, sie sich später nochmal in Ruhe durchlesen zu wollen. In wenigen Sekunden hatte er erkannt, dass die Nährstoffversorgung der vegan lebenden Kinder okay gewesen war und er sah auch, dass mit der DGE und dem IFPE seriöse Kräfte am Werk gewesen waren.
Meine Nervosität schmolz im folgenden Gespräch dahin, denn der Arzt zeigte sich offen und interessiert. Er fragte mich, ob ich nach der Umstellung auf vegan irgendwelche Reaktionen/Folgen gespürt hätte. Ich antwortete: Ja, meine Gelenkschmerzen verschwanden. Ich erzählte, dass mich das Supplementieren von Vitamin B12 nicht störe, seitdem ich weiß, dass die „Nutztiere“ dieses Vitamin nur deshalb in ihren Muskeln haben, weil sie es mit dem Futter verabreicht bekommen. Das hatte auch der Kinderarzt nicht gewusst. Wir waren uns einig darüber, dass man sich auf vielfältige Weise mangelhaft ernähren kann, dass ein Kind mit einem Chicken-Nuggets-Fischstäbchen-Pommes-Speiseplan sehr leicht Mangelerscheinungen bekommen kann.
Als er ins Grübeln kam und laut darüber nachdachte, ob er selber vegan leben könnte, fiel ich ihm ins Wort: Ich selbst habe 50 Jahre lang fast alles gegessen und hätte mir ein Leben ohne Emmentaler niemals vorstellen können – aber eines Tages reichten mir plötzlich 3 Dokumentarfilme und ein Kochbuch, um meinen Ernährungsstil zu ändern. Es war, als wären wir uns beide darüber einig, dass dies ein Thema ist, über welches man reden muss. Der Kinderarzt gab zu, dass man als Arzt eigentlich eine Zusatzausbildung zum Ernährungsberater bräuchte, um zur Nährstoffthematik zuverlässig Auskunft geben zu können. Er sagte, er habe die ZEIT zu Hause und wolle sich den Artikel auch noch in Ruhe durchlesen.
Bei der Verabschiedung konnte ich es nicht lassen, zu erwähnen, dass unsere Gesellschaft ja den Kühen, Schweinen und Hühnern Dinge antut, die sie Hunden und Katzen und Kanarienvögeln niemals antäte. Und dass eine tierfreie Ernährung auch gut fürs Klima sei. Dann bedankte ich mich überschwänglich und meine Jungs und ich verließen die Arztpraxis gutgelaunt.
Ich bin so erleichtert, dass ich es geschafft habe, den Kinderarzt auf seine Formulierung „Vegane Ernährung ist für Kinder die falsche Ernährung“ anzusprechen. Was lerne ich daraus? Man MUSS die Leute auf wichtige Themen ansprechen. Wer auf Augenhöhe und mit Wertschätzung miteinander redet, kommt weiter.
Ich hätte ihm noch das Buch empfohlen“ How not to die“ von Dr Gregor.
Schön wenn jemand so schnell umdenken!