Grozny_Lovers folgt mir! Was soll ich tun?

Grozny_LoversNeulich las ich einen interessanten Artikel über Ramsan Kadyrow in der FAZ. Das ist der Präsident von Tschetschenien, ein kräftiger Kerl mit modernem Haarschnitt. Sein bester Freund ist der lupenreine Demokrat im Kreml, für ihn würde er gerne jederzeit in den Krieg ziehen, sagt er. Hilary Swank war bei Ramsans 35. Geburtstag und sang für ihn, allerdings wusste sie nicht, wer er ist. Später entschuldigte sie sich dafür.

Also: In dem Artikel war davon die Rede, dass Ramsan regelmäßig auf Instagram postet. Ich wurde neugierig. Ein solcher Mannmann aus dem hintersten Kaukasus socialt? Macht Selfies für seine Kumpels? Ich abonnierte ihn auf Instagram, um mehr über ihn zu erfahren.

Seitdem erfahre ich fast nichts mehr über socialnde Muttis (InstaMoms) und socialnde Künstler. Meine Insta-Timeline ist voll mit kyrillischen Buchstaben (laaange Texte!) und Fotos und Filmen von Ramsan im Gespräch mit Putin, mit muslimischen Geistlichen, beim Kampfsport-Training. Er mag anscheinend Mixed Martial Arts, so wie ich auch. Ramsan hat 946.000 Abonnenten. Okay, dachte ich dann, das sind genug Follower und mein Russisch ist nicht gut genug, den kann ich ja bald wieder entfolgen (oder sagt man dem kann ich entfolgen?).

Doch zu spät! Seit heute folgt mir jemand, der sich Grozny_Lovers nennt. Der hat 23.900 Abonnenten. Und er folgt 3547 Menschen. Einer davon bin ich nun. Was soll ich tun? Mein Russisch reicht aus, um „grozny“ zu übersetzen: Es heißt „furchterregend“. Siehe auch Ivan Grozny (Ива́н Васи́льевич Гро́зный).

Jetzt mal im Ernst. Ich kenne das Problem auch von Twitter. Plötzlich folgt dir jemand und du fragst dich warum und es schmeichelt dir auch nicht gerade, dass ausgerechnet der dir folgt. Was macht man? Sich schämen? Ich glaube, ich schau mir jetzt noch ein paar Bilder von Ramsan an und dann entfolge ich ihm (ihn?) wieder, um mehr Fotos von InstaMoms zu sehen. Ich bin nämlich ein InstaMoms_Lover.

 

Das erotische Bild vom Kind

Wie sinnlich dürfen Fotos von Kindern in einer Zeitschrift sein?

In der aktuellen Print-Ausgabe der Familienzeitschrift Nido (04/2015) gibt es eine Fotostrecke, die mich sehr nachdenklich macht. (Artikel „All-Inclusive“ ab Seite 68. Die Fotos sind auf der Nido-Website z.Zt. noch nicht online.)

Beim Schreiben darüber merke ich schon, wie es sich in mir dagegen sträubt, diese Bilder zu beschreiben. Es geht in dem Artikel um Pauschalreisen mit Kindern. Was man auf den Fotos sieht, hat starken Lolita-Charakter: Mädchen im vorpubertären Alter, halbnackt, mit von der Hitze erschöpftem Gestus, verträumt, lasziv, selbstbewusst, im Slip und mit nackter Brust, mit Würstchen, Wasserflasche oder Eis am Stiel im Mund.

lolitaposterIch fühle mich an die erotischen Filme meiner Jugend erinnert: Bilitis, Die blaue Lagune, Zärtliche Cousinen, oder eben: Lolita. Ich hätte nicht gedacht, dass solche Bilder in einer Familienzeitschrift in der Post-Edathy-Zeit möglich sind.

Aber warum regt es mich auf? Ich suche und finde: Das Bild vom einsamen Mann, der sich diese Fotos lange anschaut und dabei seine Fantasien hat. Ich denke: Diese Kinder sind schutzlos dem phallischen Blick ausgeliefert. Da schreit es in mir: Skandal! Wie können die Nido-Redakteure so etwas veröffentlichen!? „Das erotische Bild vom Kind“ weiterlesen

 

Die Verantwortung des Regisseurs

Arbeiten und sterben am Filmset

So schnell kann es passieren. Du stehst als Regisseur am Filmset, machst dir Gedanken über die Gestaltung deines Films, triffst kreative und organisatorische Entscheidungen – und plötzlich geschieht ein Unfall und die Kameraassistentin ist tot. Das geschah im vergangenen Jahr dem amerikanischen Regisseur Randall Miller bei seinem Dreh zu Midnight Rider.

Als Regisseur bist du der künstlerische Leiter. Produzenten, Redakteure und Schauspieler bringen ihre Ideen ein, aber am Ende bist du verantwortlich, egal wer was gesagt oder entschieden hat. So weit ist mir das sehr bekannt. „Die Verantwortung des Regisseurs“ weiterlesen

 

Verfall

colapaar2Gesehen, fotografiert, nicht bearbeitet.

Warum sind Dinge im Zustand des Verfalls so viel interessanter als neue Dinge?

(Siehe auch meinen Beitrag über Fahrräder.)

 

10 Redewendungen die ich hasse

10dinge1. Wir müssen die Leute bei ihren Bedürfnissen abholen (Gemeiner Sprachpilz, von Politikern abgenutzt.)

2. Alle Einkaufsmöglichkeiten sind fußläufig zu erreichen. (Nicht besser als „zu Fuß“.)

3. Er hat gefühlte drei Stunden dafür gebraucht. (Dummes Wörtchen „gefühlte“, gefühlte zehn Millionen mal von mir benutzt.)

4. Es sollte zeitnah geschehen. (Wo ist das gute alte „bald“?)

5. Wir sind personalmässig sehr gut aufgestellt. (Der Wortparasit „-mässig“ und dann dieses militärische „aufgestellt“.)

6. Wichtig ist, was am Ende des Tages dabei herauskommt. (Es gibt Menschen, die benutzen „am Ende des Tages“ drei Mal innerhalb von fünf Minuten.)

7. Wir sollten in dieser Angelegenheit proaktiv vorgehen. („pro“ und „aktiv“ sind die Geschwister von „vor“ und „programmiert“.)

8. Verlassen Sie bitte diese Örtlichkeit! (Mit „-ichkeit“ am Ende wird jedes echtes Wort wie „Ort“ ein Bürokratenballon .)

9. Gerne können Sie die Räumlichkeiten besichtigen. (Siehe oben.)

10. Da bin ich ganz bei Ihnen. (Redefurz des Jahres 2014.)

11. Das wäre dann für beide Seiten eine Win-Win-Situation. (Lieblingsmetapher aller Winner-Typen.)

12. Dann kann man sich auf Augenhöhe begegnen. (Scheinbar körperlich, in Wahrheit strategisch.)

13. Das ist alles geschmäcklerisch. (Nein, ist es nicht! An alle Filmproduzenten und Redakteure: Das Wort „geschmäcklerisch“ bedeutet nicht dasselbe wie „Geschmacksache“! Laut Duden ist „geschmäcklerisch“ abwertend und bedeutet soviel wie „übetriebene ästhetische Ansprüche stellend“. So gesehen ist dieser Blogbeitrag geschmäcklerisch.

Ups, jetzt sind es mehr als 10 Redewendungen geworden. Wo ich schon dabei bin: Die Redewendung „10 Dinge, die…“ ist ja auch ein inflationäres Sprachplankton. Gibt es viel auf YouTube, kommt sicher aus dem Amerikanischen, wahrscheinlich hatte es seine Geburt mit dem Film 10 Things I Hate About You mit Heath Ledger.

 

Wann löscht man verstorbene Kontakte?

VisitenkarteManchmal verschicke ich Rundmails. Wenn zum Beispiel ein Film von mir läuft oder so. Dann scrolle ich durch mein Computer-Adressbuch und suche die Kontakte aus, die ich in den Verteiler nehmen möchte. Jedesmal begegnen mir Tote. Sie sind noch da. Ihre Namen sprechen mich an. Verhuscht scrolle ich dann schnell weiter. Ich nehme sie nicht in den Verteiler.

Aber wann sollte man tote Kontakte löschen?, frage ich mich. Sollte man überhaupt? Das Problem ist ja auch: Sie werden langsam immer mehr!

Ist es eine Art der Ehrung, sie im Adressbuch zu lassen? Es ist doch nur ein Computerprogramm. Die Erinnerung an sie trage ich im Herzen. Ja, aber mach das mal, den Kontakt mit deinem Vater löschen, samt Adresse und Geburtsdatum, oder den Schwiegervater. Oder den Freund, der vor zwei Jahren freiwillig in den Tod ging. Rechter Mausklick und dann Visitenkarte löschen?

 

Man muss nicht alles zweimal sagen!

Ich: Man muss nicht alles zweimal oder dreimal sagen!

Sie: Doch muss man! Frauen müssen das, das entspannt und sorgt für Sicherheit. Frauen denken immer beim Reden. Beim ersten Mal sagen überlegt man noch ob das so ist, beim zweiten Mal sagen denkt man das stimmt wirklich und beim dritten Mal sagen denkt man ja so ist es und nicht anders. Frauen denken beim reden. Männer denken erst und handeln dann ohne zu denken oder denken auch mal gar nicht.

Ich: Aha.
 

Beim Fahrradmann

Image-1Ich fahre mit unserem Lastenfahrrad, mit dem wir unsere Söhne durch den Kiez chauffieren, zum Fahrradladen, es braucht eine Reparatur. Kein Problem, sagt der freundliche Fahrradmann, ich schau es mir an, sind schon praktisch die Dinger, jaja. In der Stadt braucht man auch gar kein Auto. Nein, bestätige ich, wir haben beide Autos abgeschafft, es geht prima ohne. Wir wollen dann auch ein Fahrrad für den Älteren kaufen, der Frühling kommt. Auch kein Problem, antwortet er, komm mit ihm vorbei, und wenn er größer wird, kann sein kleiner Bruder das Fahrrad übernehmen. Ist doch toll, kleine Geschwister kosten immer weniger als die großen. Auch im Unterhalt. Auch nach einer Scheidung. Das ist der Fehler, den viele machen: Wenn die Kinder da sind, geht es nur noch um sie. Man muss aber auch an der Beziehung arbeiten. Ehe ist Arbeit. Harte Arbeit, aber wichtig. Was nützt es den Kindern, wenn sich alles um sie dreht, aber die Eltern auseinander gehen? Nix. Jaja. Nene.

So standen wir da, der Fahrradmann und ich, er schaute nachdenklich auf mein Lastenfahrrad, ich schaut ihn nachdenklich von der Seite an… und wir nickten.

 

Väter und Söhne

VäterUndSöhne

Wenn dein Vater stirbt steht hinter dir niemand mehr. Dann bist du der hinterste in der Reihe, mit dem Rücken zur Wand. Keiner mehr da, der die Verantwortung für dich übernehmen könnte. Keiner mehr da, der dir einen Ratschlag geben könnte. Sondern du gibst jetzt die Ratschläge, du hast jetzt die Verantwortung. Das ist ein brutaler Generationenwechsel. Wie ein Staffellauf. Die Rolle wird weitergegeben. Und der Gedanke, daß eines Tages meine Söhne in die gleiche Situation kommen werden, ist wirklich verstörend. Ich hatte mich in den vielen Jahren meines Lebens so sehr daran gewöhnt, daß hinter mir immer noch jemand steht. Diese manchmal bedrohliche, manchmal lästige, immer irgendwie starke, männliche Energie, die einfach da war. Meistens habe ich sie nicht zu schätzen gewusst, wollte daß sie weggeht, daß sie mich in Ruhe lässt. Dann war sie eines Tages weg, und seitdem muß ich dieses Vakuum füllen, muß diese Rolle spielen. Sollte man nicht wenigstens einmal im Leben seinem Vater sagen, daß er das Vatersein gut macht?

 

Erzähl mehr davon!

Berlinale. Empfang des Verbands der deutschen Drehbuchautoren. Die Kulturstaatsministerin hat gerade den Drehbuchpreis verliehen. Später ein Gespräch mit einem Drehbuchautor am Stehtisch: Was hast du zuletzt gemacht? Was ist dein nächstes Projekt? Die üblichen Floskeln. Und dann frage ich ihn: Wenn du mal 80 Jahre alt bist und deine Kinder oder Enkel wissen wollen, was du in deinem Leben gemacht hast, wenn du dann antwortest: mehrere Filme, die davon handeln, daß am Anfang ein Mensch getötet wird und wie ein Kommissar dann den Täter findet – wird das deine Kinder interessieren? Werden deine Enkel im Kreis hüpfen und rufen „Erzähl mehr davon!“?

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