Das Kind kommt auf die Welt und will etwas. Bei meinen Söhnen war das deutlich zu sehen. (Ich war bei ihren Geburten dabei.) Sie kamen hervor und sagten nicht nein. Sie wollten raus und sie wollten Muttermilch.
Später wurde es aber ineressanter. Sobald er wach war, wollte mein erster Sohn irgendwohin, irgendwas haben. Bevor er einschlief, war es auch so. Das war manchmal problematisch, aber immer faszinierend. Das Wollen kann viel stärker sein als die Müdigkeit.
Aber was treibt die Kinder an? Sie sitzen oder stehen da, einjährig oder dreijährig, haben von der Welt noch keine Ahnung, wissen nicht, was interessant und was langweilig ist – und krabbeln oder rennen los. Bewegen sich auf etwas zu. Wollen es anfassen, festhalten, irgendwie benutzen. Und dann das hier! Und dann das andere!! Und bloß nicht hergeben!!!
Ich nenne es das pure Wollen.
Ich habe es in dieser Form nicht mehr, dieses permanente Vorwärts, dieses IchWillMachen! Verliert man das mit dem älter werden? Oder mit dem Eltern werden? Weil man es abgibt, die Kleinen es ab jetzt übernehmen? Nicht daß ich nicht etwas wollen würde, aber bei mir gibt es meist erst eine Idee, basierend auf einer Überlegung oder einer Notwendigkeit, dann einen Plan, eventuell eine Vertagung, manchmal auch eine Verdrängung. Wenn ich etwas mache, hat es meist so viele Filter der Vernunft durchlaufen, das ich meine Freude daran mit der nackten Freude der Kinder gar nicht vergleichen kann.
Klar kann man sagen, das Kind sei halt neugierig. Aber warum? Diese Gier auf Neues ist uns anscheinend angeboren. Wir kommen mit ihr zur Welt. Wir haben sie bereits im Gepäck, wenn wir uns durch den Geburtskanal schlängeln. Warum?! Die Antwort kann ja wohl nicht so romantisch klingen wie „Damit wir etwas erfinden“ oder „Damit wir die Welt mit unserer Kunst verschönern“. Der Mensch ist gleichermaßen in der Lage, das Leben zu bereichern wie das Leben zu zerstören, mit seinem großartigen freien Willen.
Wahrscheinlich geht es, evolutionär betrachtet, mal wieder nur darum, seine Gene zu verbreiten. Leben, überleben, weiterleben.
Kenne ich, seit dem ersten Kind bin ich fast immer auf dem mittleren Pedal.
Also auf der Bremse?
genau
Also ich kenne dieses pure wollen, wie du es nennst von mir auch. Es blitzt ab und zu noch auf. Natürlich nicht mehr so permanent wie bei meiner Tochter, nur bei bestimmten Triggern. Bei mir sind das zb. Bälle und alles was rollt, oder auch bestimmte (Spiel)geräte, oder einfachDinge die ich mir nicht erklären kann. Obwohl ich die 30 überschritten habe, kenne ich noch dieses kleine wollende Mädchen in mir und das Gefühl, etwas JETZT SOFORT ‚begreifen‘ zu müssen. Es geht also nicht unbedingt verloren.
Ich beglückwünsche und beneide dich. Ich gehe auf die fünfzig zu beneide meine Kinder und jeden der oder die sich wie ein Kind über etwas freuen kann. In diesem Sinne liebe ich auch die Italiener, die eine kindliche Freude haben im Unterschied zu nordeuropäischen oder osteuropäischen Menschen, die stoisch und melancholisch sein können, so wie ich. Also: Mentalität? Oder Alter? Älter? Eltern?