Neulich bei #fridaysforfuture: Wir steigen beim Invalidenpark aus der Strassenbahn aus, meine Söhne (8 und 5), drei befreundete #parentsforfuture, und ich, den Stab mit dem Transparent meines Sohnes in der Hand. Heute ist auch Greta Thunberg in Berlin!
Plötzlich steuert ein etwa 60jähriger Mann auf mich zu. Gepflegtes Äußeres, Krawatte, Mantel. Könnte in einer Behörde arbeiten, könnte aber auch Zahnarzt sein. Mit einem breiten Lächeln und in höflichem Ton fragt er mich: „Sagen Sie, gehen Sie auch zu dieser Demo?“
Ich denke: Wohin denn sonst? Antworte freundlich: „Ja, na klar!“
Darauf er, lächelnd: „WER HAT IHNEN EIGENTLICH INS HIRN GESCHISSEN?“
Es folgten noch ein paar mehr Worte, an die ich mich nicht mehr genau erinnern kann, aber sinngemäß teilte er mir mit, ich solle doch diesen Blödsinn am Wochenende in meiner Freizeit machen.
Wie habe ich reagiert? Ich war perplex. Irgendwie schaffte ich es, ihn zu fragen, weshalb er so unfreundlich sei. Aber er antwortete nicht, sondern eilte plötzlich davon. Ich schimpfte ihm noch irgendwas hinterher und hörte wie mein Sympathicus schrie: Kämpfen! Kämpfen! Los, lass ihn nicht davon kommen!
Was für ein Einstieg in die Freitagsdemo mit Greta! Jetzt musste ich die Fragen meiner Söhne beantworten: Papa, was hat der Mann da gesagt? Warum hat der das gesagt?
Wie beantwortet man diese Fragen? Ich kenne ja die wütenden Schreiber aus Internetforen, aus Kommentarspalten. Die „Hater“, die „Wutbürger“, die anonymen Trolle. Aber noch nie ist mir einer physisch so entgegen gekommen. Und mit dieser perfiden Technik, erst höflich zu lächeln, um dann zuzustechen. Ein verbaler Dolchstoß, auf offener Strasse. Vor meinen Kindern.
Was für ein Hass muss da im Spiel sein! Und welche Angst steckt dahinter?! Schöne neue Zeit. Man sagt jetzt halt seine Meinung. Die Schüler auf dem Invalidenplatz sagen ihre, der Herr auf dem Gehweg sagt seine. Man wird ja wohl noch seine Meinung sagen dürfen! Wir leben schließlich in einer Demokratie. Oder ist es etwa schon wieder so weit, he? Schon mal drüber nachgedacht, he???
Ich finde es verdammt hart, nicht verbittert oder wütend zu sein. Manchmal möchte ich ja selbst auf offener Strasse auf Leute zugehen und zu ihnen sagen „Wollen Sie nicht mal endlich ihren Motor ausschalten?“ oder „Schon mal darüber nachgedacht, für wie viel Tierleid und CO2 das Würstchen in deiner Hand verantwortlich ist?“
Darf man aber nicht machen. Weil es sich nicht gehört, andere zu belehren. Weil man Gegendruck auslöst. Und weil man sich selbst nichts Gutes tut damit.
Ich denke die ganze Zeit darüber nach, was ich zu dem Text sagen soll.
Es fällt mir schwer, das zu formulieren, was ich fühle. Es ist sowas wie „Endlich passiert was“, aber nicht sensationshungrig, sondern es hat was von Erleichterung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Erlebnis nicht eher positiv bewerten möchte, obwohl die Wortwahl natürlich gar nicht geht.
Er hat sich was getraut, er hat Dich angesprochen, weil es ihm wichtig war. Du regst ihn total auf, das Thema regt ihn so sehr auf, dass er aus seiner Passivität herauskommt.
Vielleicht solltest Du anfangen, Leute mit Würstchen auf der Straße anzusprechen, freundlich aber bestimmt. Vielleicht kannst Du dann beim nächsten Mal auch spontan reagieren, wenn Dir sowas wieder passiert.
Das ist echt mal eine neue Sichtweise auf das Ereignis. Ich danke Dir! Ja man sollte zufrieden sein, wenn man jemanden bewegt, in welcher Form auch immer. Raus aus der Komfortzone, nicht wahr? Dieser Mann, von dem ich berichte, kam aus seiner Komfortzone heraus. Er ging ein gewisses Risiko ein. Macht mich nachdenklich.